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Soziales Europa oder „marktgerechte Demokratie“?

Die HWR Berlin lud im Rahmen des Studium Generale zu einem Streitgespräch mit den ausgewiesenen Experten Sven Giegold, Clemens Fuest und Stephan Schulmeister. Sie diskutierten über die beiden Leitbilder „soziales Europa“ und „marktgerechte Demokratie“ und den aktuellen Stand der Eurokrise vor vollem Haus.

02.02.2016

Die HWR Berlin lud im Rahmen des Studium Generale zu einem Streitgespräch mit den ausgewiesenen Experten Sven Giegold, Clemens Fuest und Stephan Schulmeister. Sie diskutierten über die beiden Leitbilder „soziales Europa“ und „marktgerechte Demokratie“ und den aktuellen Stand der Eurokrise vor vollem Haus.

Die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann sorgte im durchaus kontroversen Gesprächsverlauf für ein konstruktives Gesprächsklima. In den einleitenden Gedanken über die beiden Leitbilder „soziales Europa“ und „marktgerechte Demokratie“ traten die Gemeinsamkeiten und Differenzen der drei Podiumsgäste deutlich zutage.

Clemens Fuest, Präsident des Mannheimer „Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung“ (ZEW), machte zu Beginn geltend, auch in einer Demokratie gebe es Fehlentwicklungen wie z.B. die Neigung, Kapital zu hoch zu besteuern. Wichtig für das Funktionieren der Finanzmärkte sei eine stärkere, aber begrenzte Haftung der Anteilseigner. Stattdessen habe man sich an den Finanzmärkten mit der Ausdehnung spekulativer Geschäfte das Problem des „Too big to fail“ ins Haus geholt.

Der Wiener Ökonom und Publizist Stephan Schulmeister bekannte, die Grundsatzfrage „Markt oder Staat“ gehe ihm ein wenig auf die Nerven. Der erzliberale Ökonom Hayek habe am Beispiel einer parlamentarisch beschlossenen Krankenversicherung den Grundkonflikt benannt und im Zweifelsfall für ‚wirtschaftliche ‚Freiheit’ und gegen ‚soziale Gerechtigkeit’ plädiert.

Sven Giegold, Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im EU-Parlament,  stellte heraus, die Globalisierung habe tatsächlich die politischen Entscheidungsspielräume für das „Soziale“ in der Marktwirtschaft – vor allem für die Nationalstaaten – eingeengt, aber Politiker versteckten sich zuweilen auch allzu feige hinter dieser behaupteten ‚Ohnmacht’. Eine Lösung drängender sozialer und ökologischer Probleme sei nicht mehr national, sondern nur auf europäischer und internationaler Ebene möglich. 

Im weiteren Verlauf kam es immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen der Experten. So auch auf Fragen der Moderatorin zu Möglichkeiten, die Krise im Euroraum zu bewältigen oder auch wie die aktuell drängenden sozialen Ungleichheiten eingedämmt werden könnten. Für Clemens Fuest sind Wohlstandsunterschiede innerhalb der EU-Währungsunion kein Problem, nur müsste dann jedes Land seine wirtschaftspolitische Verantwortung ernst nehmen und zum Beispiel den Staatshaushalt in Ordnung bringen. Dem entgegnete Schulmeister, schwächere EU-Länder könnten aus „aus eigener Kraft“ nicht gesunden. Bislang ziehe eine Therapie (wie die Nullzins-Politik der EZB) nur die nächste Krise nach sich. Sven Giegold wandte sich gegen den Eindruck, die Brüsseler ‚Expertokratie’ sei zum Beispiel für den Druck auf Griechenland maßgeblich verantwortlich.

Clemens Fuest plädierte abschließend in der aktuellen Lage für weitere Integrationsschritte in der EU. Diese sollten jedoch nicht  zu ehrgeizig, sondern realistisch sein. Die Idee einer  europäischen Arbeitslosenversicherung müsse einhergehen mit einer gemeinsamen Arbeitsmarktpolitik, das Gleiche gelte für die  Bankenunion.

Die Denkanstöße vom Podium wurden vom Publikum aufgenommen und durch weitere Fragen vertieft. Den Erkenntnisertrag des Abends bedachte das vollbesetzte Auditorium mit Beifall.

Einen ausführlichen Nachbericht finden Sie hier.
Einen Audiomitschnitt finden Sie hier.