Neuigkeit | 6. Fachsymposium 2022

Der Schlüssel zur erfolgreichen Deradikalisierungsarbeit

Das 6. Fachsymposium zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz stand 2022 unter dem Titel »Übergangsmanagement im Bereich des islamistischen Extremismus – Chancen, Risiken, Perspektiven«.

13.01.2023 — Sarah Geißler

Foto: Lukas Schramm

Am 19. Dezember 2022 trafen sich Akteur*innen und Entscheidungsträger*innen aus Politik, Wissenschaft, Polizei und Zivilgesellschaft im virtuellen Tagungsraum, um sich mit den vielfältigen Herausforderungen der nachhaltigen Resozialisierung und Reintegration von islamistisch motivierten Straftäter*innen für Staat und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Ausgerichtet wurde die interdisziplinäre Veranstaltungsreihe zu Sicherheitsthemen im Kontext von Terrorismus zum sechsten Mal von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport.

Prof. Dr. Sabrina Schönrock eröffnete die Onlineveranstaltung und begrüßte die Redner*innen sowie die über 150 Teilnehmenden, die sich aus der Bundesrepublik und dem europäischen Ausland zugeschaltet hatten. Ihr Dank galt neben allen Beteiligten vor allem dem Staatssekretär für Inneres Torsten Akmann, mit dem sie gemeinsam das Fachsymposium im Jahr 2017 ins Leben gerufen hatte.

In ihrem Grußwort erinnerte die Berliner Innensenatorin Iris Spranger an die Opfer des Berliner Terroranschlages und deren Angehörige, aber auch an die Ersthelfer*innen, die vor sechs Jahren ihren Dienst am Einsatzort leisteten. Sie betonte, dass das Symposium, das bisher vielfältige Themen behandelte, ein wichtiges Forum im Kontext der Sicherheit Berlins bilde. Der Übergang von Haft in Freiheit mit dem Ziel der Deradikalisierung verlange eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden, der Justiz und den entsprechenden zivilgesellschaftlichen Träger*innen, betonte Spranger.

Prof. Dr. Andreas Zaby, Präsident der HWR Berlin, ging in seiner Begrüßungsansprache auf den Beitrag von Hochschulen zu Friedens- und Demokratiestiftung und damit einhergehend zur Verhinderung von Extremismus ein. Unsere oberste Pflicht, so Zaby, sei das Mahnen der 13 Opfer des Terroranschlages auf dem Berliner Breitscheidplatz niemals zu vergessen.

Im Sinne der „Science Diplomacy“ nehme die HWR Berlin ihre Verantwortung, Studierende zum kritischem Denken und verantwortlichem Handeln zu befähigen sehr ernst. Laut Zaby stelle der internationale Studierenden-, Lehrenden- und Forschendenaustausch eine besonders wichtige friedensbildende Maßnahme dar, denn Wissenschaft kenne keine Grenzen. Er betonte, dass die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit nicht alleine zu meistern seien. Sie erfordern internationale Zusammenarbeit – und zwar nicht nur in den Bereichen der Bildung, Wissenschaft und Forschung.

In seinem Vortrag plädiert Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke, Professor für Politikwissenschaften, für eine stärkere Einbeziehung der Schlüsselkategorien „Radikalisierung und Deradikalisierung“ im Rahmen des Übergangsmanagements. Am Beispiel des Attentäters Anis Amri beschrieb er zunächst den stufenhaften Prozess der Radikalisierung, um anschließend die Frage aufzuwerfen, wie eine ebenfalls stufenhafte Intervention zur Deradikalisierung erfolgen sollte. Im Feld der Deradikalisierung spiele das Prinzip der Freiwilligkeit eine tragende Rolle, so Jaschke.

Julie Coleman, Mitglied des International Centre for Counter-Terrorism (ICCT) in Den Haag sprach in ihrem Beitrag „From Prison to the Community: Key Findings for Rehabilitation and Reintegration of Violent Extremist Offenders“ über die weitverbreitete Befürchtung, dass Gefängnisse als Brutstätten für die Radikalisierung von gewaltbereiten extremistischen Straftäter*innen gelten. Sie zeigte auf, dass die Rückfallquoten im internationalen Vergleich relativ niedrig seien und wies darauf hin, dass das Risiko einer Radikalisierung von vielen verschiedenen Faktoren abhängig sei. Daher müssten die Rehabilitationsmaßnahmen zur Minimierung der Rückfälligkeit den heterogenen Bedarfen der Straftäter*innen angepasst werden, schlussfolgerte Coleman.

Im Rahmen des dritten Fachvortrages setzte sich Thomas Mücke, Mitbegründer und Geschäftsführer der Violence Prevention Network gGmbH (VPN), in seinem gleichnamigen Vortrag mit den „Ansätzen und Herausforderungen der Distanzierungsarbeit nach der Haftentlassung“ auseinander. Er postulierte, dass eine Distanzierungsarbeit bereits im Vollzug ansetzen müsse, um wirksam zu sein. Eine fortwährende Betreuung nach der Haft spiele dabei eine ebenso wichtige Rolle. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen hätten die besten Möglichkeiten, einen Zugang zu dem Personenkreis der islamistischen Extremisten zu finden. Gegen staatliche Akteur*innen bestünde zu viel Misstrauen. Mücke gab Einblicke in die Arbeit des VPN, die nicht als Beratungsarbeit, sondern eher als Begleitungsarbeit bezeichnet werden müsse. Wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Deradikalisierungsarbeit sei eine Vernetzungsarbeit. Hier spielen Disziplinen wie Psychotherapie und Wissenschaft eine tragende Rolle. Der Referent konstatierte, dass Deradikalisierungsarbeit ein Angebot darstelle, welches nicht in jedem Einzelfall aufgehen könne, wie der Anschlag in Dresden zeigte. Dennoch führe jedes Angebot dazu, die Wahrscheinlichkeit von Straftaten aus diese Szene zu minimieren.

Nach einer kurzen Pause eröffnete Prof. Dr. Birgitta Sticher, Professorin für Psychologie und Führungslehre der HWR Berlin, das Podiumsgespräch, welches unter der Überschrift „Zwischen Herausforderungen und Chancen – Wie kann ein gutes Übergangsmanagement aussehen?“ stand. Die Moderatorin klärte eingangs den Begriff des Übergangsmanagements und stellte im Anschluss die interdisziplinäre Expertenrunde vor. Dabei legte sie den Schwerpunkt auf die verschiedenen Professionen im Kontext des Tagungsthemas. Nach einem individuellen Eingangs-Statement der Podiumsgäste, zu denen neben den bereits gehörten Referenten Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke und Thomas Mücke auch Andreas Olbrich, Experte im Bereich Extremismus-Prävention der Landespolizeidirektion Wien sowie der Berliner Dezernatsleiter der Auswerteeinheit islamistischer Extremismus/Terrorismus (LKA 81) Sebastian Quel gehörten, erkundigte sich die Moderatorin nach den derzeitigen Herausforderungen der bereits mehrfach genannten kooperativen Zusammenarbeit als Garant für gelingende Deradikalisierungsarbeit.

Die Expert*innen gingen in ihren jeweiligen Antworten auf die Rolle von Kontinuität in der Arbeit der NGOs, aber auch der Sicherheitsbehörden ein, die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bildeten. Jaschke gab jedoch zu bedenken, dass Stetigkeit auch ein Hemmschuh für wichtige Innovationen und Weiterentwicklungen sein könne. Er plädierte vor allem für eine Professionalisierung der Arbeit der Akteur*innen. Die Expertenrunde war sich einig, dass nur im Zusammenspiel von Kontinuität im Sinne eines verlässlichen Netzwerkes und Professionalisierung im Sinne von Fortbildungen und Personalmaßnahmen erfolgreiche Arbeitsergebnisse erzielt werden können.

Neben den besprochenen Herausforderungen wurden auch Chancen thematisiert. Der Bereich der tertiären Prävention könne laut Olbrich noch ausgebaut werden, indem das soziale Umfeld der Täter*innen in der Deradikalisierungsarbeit mit einbezogen werde. Mücke betonte, dass das bereits erlangte Knowhow auf dem Gebiet der islamistischen Deradikalisierung auch für alle anderen Extremismusbereiche von Bedeutung sei.

Zum Ende des anderthalbstündigen Gespräches gelangten die Podiumsgäste zu wichtigen weiterführenden Fragestellungen. Unter anderem müsse die Rolle des Internets noch stärker berücksichtigt werden. Quel sah einen weiteren Forschungsbedarf in der Wechselwirkung von psychischen Störungen im Zusammenhang mit Radikalisierung.

Zum Abschluss dankte Schönrock allen Mitwirkenden und Teilnehmenden und würdigte die Arbeit des Live-Künstlers Mike Klar, der auch in diesem Jahr die Ergebnisse der Veranstaltung in einem anschaulichen Tagungskunstwerk festhielt.

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