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Neuigkeit | VWL in der Praxis

Kartellaufsicht neu denken

Kann eine Wettbewerbsbehörde im Zeitalter von Google und Facebook Internet-Konzerne regulieren? Dieser Frage ging Dr. Martin Sauermann vom Bundeskartellamt als Gastreferent an der HWR Berlin nach.

14.12.2018

Wer würde heute noch auf die Idee kommen, eine Internet-Suchmaschine zu entwickeln, um damit als Startup auf den Markt zu streben? Die Aussichten auf Erfolg scheinen eher begrenzt. Denn die digitalen Märkte sind längst aufgeteilt unter führenden Global Playern. Und die Digitalriesen wachsen weiter. Dabei sind allein die Umsätze nicht mehr zwingend Indikator für die Marktstellung eines Unternehmens, erklärte Dr. Martin Sauermann vom Bundeskartellamt.

Im Rahmen der Vorlesungsreihe „VWL in der Praxis“ an der HWR Berlin sprach der Experte über Digitalisierung und Wettbewerbspolitik. Kontrollbehörden wie das Bundeskartellamt müssten bei der digitalen Wirtschaft umsteuern, so Sauermann. Denn manch herkömmliche Instrumente greifen nicht mehr. Bisher würden Gesetze im Wettbewerbsrecht bestimmt durch Entgeltlichkeit, eine vertraglich festgelegte Gegenleistung, die monetär zu erfassen ist. Digitale Plattformmärkte dagegen zeichneten sich durch ihren Netzwerkcharakter aus, wüchsen und prosperierten anders.

Ein Beispiel: dieder Fusion von immowelt.de und immonet.de, im rahmen derer Kundenströme zusammengeführt wurden. Das Kartellamt hatte im Jahr 2015 Axel Springer den Kauf der Website immowelt.de genehmigt, sah keine Wettbewerbsrisiken, „obwohl der Zusammenschluss die Anzahl der großen Immobilien-Plattformen in Deutschland reduziert“, argumentierte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt in der Tageszeitung „Die Welt“. Das macht es für Konkurrenz- oder gar Neuanbieter schwieriger, in den Markt einzusteigen oder auf diesem zu bestehen. Im Internet gelten andere Regeln. Die Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzer geht dorthin, wo sich die meisten Nutzerinnen und Nutzer aufhalten. Das ist der Schlüssel für digitale Marktbeherrschung - und für das Kartellamt in den bestehenden Strukturen nur schwer zu fassen.

19 Milliarden Dollar hatte Facebook 2014 für die Übernahme des Messenger-Dienstes WhatsApp bezahlt. Damit erkaufte sich der Daten-Konzern nicht nur die Chat-Software, sondern auch hunderte Millionen Telefonnummern, die bei WhatsApp hinterlegt sind. Entgegen der ursprünglichen Beteuerung gegenüber der EU-Kartellbehörde, die die Fusion prüfte, änderte WhatsApp zwei Jahre später die Nutzungsbedingungen und erlaubte, dass Telefonnummern und Informationen zum Nutzerverhalten an Facebook übertragen werden können. Ziel ist es, Werbung noch passgenauer bei den Nutzerinnen und Nutzern zu platzieren. Das ist nicht nur eine zweifelhafte Auslegung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), sondern führt dazu, dass Facebook noch weitreichender Nutzerprofile verknüpfen kann. Solche  Rahmenbedingungen tragen zu einer Konzentration des Plattformmarktes für Online-Werbung bei.

Die Vorlesungsreihe „VWL in der Praxis“ greift aktuelle Themen auf und lädt Gastreferentinnen und -referenten dazu an die HWR Berlin ein. Der nächste Vortrag findet am 18. Januar 2019 um 14 Uhr statt. Dann berichtet Kevin Machura, Referent für Haushalt und Finanzen in der FDP-Fraktion Niedersachsen, über VWL und Politikberatung.