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Neuigkeit | Fachsymposium

Lehren ziehen aus dem Anschlag

"Urbane Resilienz – Schutz des öffentlichen Raumes" war das Thema des zweiten Fachsymposiums zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz.

21.12.2018

Wie geht eine Stadtgesellschaft mit den Herausforderungen um, die durch den Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz vor zwei Jahren entstanden sind? Oder konkreter ausgedrückt: Was kann getan werden, um die Anfälligkeit öffentlicher Orte für weitere Anschläge zu minimieren? Wie können die Gefahren im Zusammenhang mit terroristischen Taten – insbesondere Überfahrtaten – frühzeitig erkannt werden?

Über diese und weitere Fragen diskutierten am 19. Dezember Fachleute aus Wissenschaft und Praxis im Bärensaal der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Das zweite Fachsymposium zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz diente als Plattform für einen regen Erfahrungsaustausch zur Thematik „Urbane Resilienz – Schutz des öffentlichen Raumes“. Das Symposium ist Teil einer interdisziplinären Veranstaltungsreihe, die 2017 von der Senatsverwaltung und der HWR Berlin gemeinsam ins Leben gerufen wurde. Betrachtet werden Sicherheitsthemen im Kontext von Terrorismus aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Ein Ergebnis des Symposiums: einfache Lösungen gibt es nicht, und weitere Anschläge werden sich vermutlich nicht verhindern lassen. Entscheidend sei ein „ausgewogener Umgang“ mit terroristischen Taten, sagte Prof. Sabrina Schönrock, Dekanin des Fachbereichs Polizei und Sicherheitsmanagement an der HWR Berlin, in ihrer Abschlussrede: „Wir müssen Strategien entwickeln, mithilfe derer die Gefahren zumindest minimiert werden können.“ Um Lehren aus dem Anschlag zu ziehen, sei ein engerer fachlicher Austausch insbesondere auf internationaler Ebene notwendig, so Schönrock.

Keine völlige Abschottung möglich

Im Rahmen einer Workshop-Reihe wurden unterschiedliche Aspekte des Themenkomplexes betrachtet und diskutiert. Wie die Stadt Berlin sich der Frage der Gefahrenminimierung annähert, darüber sprach Jörg Rock, der in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport das Projekt „Schutz öffentlicher Räume durch permanente und/oder temporäre Sperrmittel“ leitet. Die grundlegende Herausforderung, der sich eine Stadtgesellschaft stellen müsse, sei die Tatsache, dass Täter sich in aller Regel so genannte „weiche“ Ziele für ihre Anschläge aussuchten: also offene, hochfrequentierte Plätze mit maximaler medialer Aufmerksamkeit. Das Problem: mit Sperrmitteln völlig „abschotten“ lässt sich solch ein öffentlicher Platz nicht. Bei einem Weihnachtsmarkt etwa müssen aus Sicherheitsgründen stets Zufahrtsmöglichkeiten für die Standbetreiber sowie Not- und Rettungswege geschaffen werden.

Die Projektgruppe hat seit November 2018 zunächst den Breitscheidplatz in den Fokus genommen, um ein umfangreiches Sicherheitskonzept zu erarbeiten. Im Mittelpunkt des Pilotprojekts, das einen laut Senatsverwaltung „bisher in Deutschland einzigartigen Zufahrtsschutz mit zertifizierten, temporären Sperrmitteln“ beinhaltet, steht die Verhinderung von weiteren Überfahrtaten. Viel war während des Workshops von Sperrmitteln, veränderter Verkehrsführung und Geschwindigkeitsminimierung die Rede. In der sich anschließenden Diskussion wurde allerdings deutlich, dass aus Sicht zahlreicher Teilnehmerinnen und Teilnehmer die derzeitigen Überlegungen insgesamt zu kurz greifen und lediglich Teil des Lösungskonzepts sein können. Denn entschlossene Täterinnen und Täter können erstens auch durch Bombenanschläge und den Gebrauch von Waffen verheerenden Schaden anrichten. Zweitens ist es jederzeit möglich, dass sie auf andere, weniger geschützte Orte jenseits von Pilotprojekten ausweichen.

Ein Mitarbeiter der Johanniter-Unfall-Hilfe gab zu bedenken, dass es allein in Berlin knapp 80 Weihnachtsmärkte gebe sowie unzählige weitere exponierte Orte das ganze Jahr über. Dirk Schnurpfeil, Lehrkraft für besondere Aufgaben für Einsatzlehre an der HWR Berlin, pflichtete ihm bei: „Wir konzentrieren uns hier zu sehr auf einzelne Veranstaltungen wie beispielsweise Weihnachtsmärkte.“ Wirksame Schutzmaßnahmen müssten vielmehr permanent und großflächig angelegt sein. Dass es in einer offenen, demokratischen Gesellschaft keinen absoluten Schutz vor weiteren Taten geben kann, wurde während der Diskussion offensichtlich.

Plädoyer für permanente Sperrmittel

Bei der Frage, ob permanente oder temporäre Sperrmittel den wirksameren Schutz bieten können, waren sich die Teilnehmenden weitgehend einig: einen realistischen und vor allem langfristigen Schutz vor weiteren Terroranschlägen könne nur ein permanenter Zufahrtschutz gewährleisten. Neben der Kostenfrage wurde vor allem betont, dass an zahlreichen öffentlichen Plätzen Berlins das ganze Jahr über Veranstaltungen stattfinden – zumindest seien viele dieser Orte ganzjährig hoch frequentiert. Wirksam ergänzt werden müssten die Sperrmittel zudem durch ausreichend Polizeipräsenz.        

Wie die deutsche Gesellschaft im Umgang mit Terror von anderen Ländern lernen kann, wurde in zwei weiteren Workshops diskutiert. So war zum Symposium unter anderem Dr. Eric Zimmermann vom Interdisciplinary Center Herzliya in Israel angereist. In Zimmermanns Ausführungen, so fasste es Prof. Hartmut Aden von der HWR Berlin zusammen, sei deutlich geworden, dass die israelische Gesellschaft aufgrund der permanenten Gefahrenlage im Land ganz anders mit Risiken und Gefahren umgehe als die deutsche: „Die bestehenden Strukturen funktionieren besser als anderswo.“

Ein Beispiel aus Österreich lieferte Wolfgang Müller, Stellvertretender Magistratsdirektor der Stadt Wien. Als Reaktion auf den Terroranschlag am Breitscheidplatz wurde in der österreichischen Hauptstadt ein Sicherheitskonzept entwickelt, in dessen Zentrum effektive, alltagstaugliche Maßnahmen stehen, die das Stadtbild nicht beeinträchtigen und auch das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung bedienen.