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Neuigkeit | Gründungsradar 2018

„Entrepreneurial Mindset von Anfang an im Mittelpunkt“

Im Gründungsradar 2018 belegt die HWR Berlin in mehreren Kategorien die oberen Plätze. Woran das liegt, erzählen Christian Gurol und Prof. Sven Ripsas im Interview.

07.02.2019

Christian Gurol, Leiter des Startup Incubator Berlin, und Prof. Sven Ripsas, Dozent für Entrepreneurship an der HWR Berlin, im Co-Working Space des Startup Incubator Berlin in Siemensstadt

Der Stifterverband der deutschen Wissenschaft hat kürzlich die Ergebnisse seiner Studie „Gründungsradar 2018“ veröffentlicht. Demnach schneidet die HWR Berlin in drei von vier Wertungskategorien als Spitzenreiterin ab. Und mehr noch: Unter den Hochschulen mit 5.000 bis 15.000 Studierenden belegt die HWR Berlin als beste Fachhochschule Deutschlands in der Gesamtwertung den vierten Platz und teilt sich punktgleich mit der Freien Universität Berlin den ersten Platz in der Gründungsmetropole. Hat Sie dieses Ergebnis überrascht?

Prof. Sven Ripsas, Dozent für Entrepreneurship an der HWR Berlin: Ich habe mich gefreut. Ich glaube, dass wir an der HWR Berlin schon lange sehr gute Arbeit machen. Dass sich die Arbeit dieses Jahr im Gründungsradar so widerspiegelt, ist sicherlich ein Ergebnis der Entwicklung der letzten Jahre. Entrepreneurship gibt es an der Hochschule seit 2001 und den Startup Incubator in dieser Form seit sechs Jahren. Insofern sieht das Ergebnis jetzt nicht so aus, weil wir 2018 irgendetwas anders gemacht hätten, sondern weil wir uns kontinuierlich entwickelt haben.

Christian Gurol, Leiter des Startup Incubator Berlin: Neben der ständigen Weiterentwicklung spielt auch die enge Verzahnung eine wichtige Rolle. Was im Bereich „Lehre und Forschung“ als Ergebnis dargestellt wird, wenden wir in der praktischen Gründungsförderung an. Da sitzt niemand im Elfenbeinturm, sondern alle zusammen entwickeln die Startup-Teams weiter. Das Gründungszentrum der HWR Berlin gibt es seit 2009 – zunächst als Workshop-Programm, später mit einem eigenen Co-Working Space. Als ich vor sechs Jahren meine Tätigkeit als Leiter begann, fand ich eine Situation vor, in der überwiegend Freiberufler unterstützt wurden. Jetzt sind wir mit unserem Unterstützungsangebot  und unserer Infrastruktur soweit, dass wir Teams unterstützen können, deren Geschäftsmodelle innovativ und wachstumsorientiert sind.

Ripsas: In meiner Rolle als Entrepreneurship-Beauftragter des Präsidenten der HWR Berlin konnte ich gemeinsam mit Christian Gurol das Gründungszentrum neu aufstellen. Seine Aufgabe war es, den Lean-Startup-Ansatz in der Gründungsbegleitung umzusetzen. Wenn wir uns das heute ansehen, würde ich sagen: mission completed.

Gurol: Nicht nur die Qualität hat sich verbessert, auch die Anzahl der Teams hat sich deutlich erhöht. Nicht zuletzt aufgrund der intensiven Unterstützung des Hochschulpräsidiums und des Landes Berlin stehen wir heute an diesem Punkt. Beispielsweise wird die HWR Berlin durch die Berliner Qualitäts- und Innovationsoffensive gefördert, was uns in den letzten zwei Jahr extrem geholfen hat die Entwicklung voranzutreiben.



Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Berliner Hochschulen bundesweit zu den gründungsstärksten gehören?  

Ripsas: Berlin ist innerhalb der letzten 15 Jahre im Global Startup Ecosystem Report von „gar nicht auf der Agenda“ über Platz 15 bis auf Platz 7 im Ranking 2017 aufgestiegen. Das liegt daran, dass Berlin als Stadt international zur Top-Liga der Startup-Hochburgen zählt. Das spiegelt sich natürlich auch an den Hochschulen wider: Wir leisten unseren Beitrag, indem wir das Thema für unsere Studierenden aufbereiten, ihnen die aktuellsten Tools zur Verfügung stellen und Kooperationen mit Startups ermöglichen, weil wir eng mit der Szene verbunden sind.

Gurol: Nach dem Mauerfall konnte sich in Berlin vieles neu entwickeln und die Rahmenbedingungen waren gut, z.B. die Mietkosten extrem niedrig. Meine persönliche Einschätzung ist, dass hier vieles aus diesen guten Voraussetzungen heraus entstanden ist. Ich glaube, jetzt ist es die Aufgabe der Politik, dieses gute Ökosystem hierzubehalten. Nach meiner Einschätzung ist es so, dass die Hochschulen in diesem System eine wichtige Rolle einnehmen. Es ist ein klarer Standortvorteil, dass die Hochschulen immer neue Startups „nachschieben“ können und daraus immer wieder Neues entsteht.



Gründungszentren und -initiativen gibt es viele. Was macht die Besonderheit des Startup Incubator Berlin aus?

Gurol: Wichtig ist die tolle und enge Verzahnung von Education und Incubation, zusammen mit der Forschung. Wir bilden einen methodischen Strang, der aus diesen Bausteinen besteht. Bei vielen anderen Hochschulen gibt es dieses enge Verhältnis nicht.

Ripsas: Wenn man sieht, dass wir seit 17 Jahren an der Hochschule einen akademischen Beauftragten für Gründung haben, dann ist das meiner Meinung nach ein großer Vorteil. Etwas Besonderes ist sicherlich auch, dass wir als Dozenten seit vielen Jahren eng mit dem Gründungszentrum zusammenarbeiten und dass das Gründungszentrum auf diese Weise früh innovative Konzepte aus der Startup-Praxis zur Anwendung bringt. An der HWR Berlin haben wir schon früh den Schritt gemacht, Gründungen aktiv methodisch zu begleiten und die ersten Ideen der Gründerinnen und Gründer zu hinterfragen, um dann ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Die Gründer werden dazu angeregt, gemeinsam mit Kunden verschiedene Hypothesen zu bilden und zu prüfen, ob sie richtig sind. Was dann wiederum zu einem spannenden Prozess führt.    

Gurol: Ein Entwicklungsprozess. Wir werden fast täglich gefragt: Ist das eine tolle Idee? Aber das ist ja immer ein persönlicher Eindruck. Ich kann sagen, das gefällt mir nicht oder ich kann das nicht anwenden. Aber es gibt vielleicht viele Kunden, die genau das suchen – diese Kunden kennen wir aber nicht. Eigentlich entscheidet immer der Markt, ob es sich um eine tolle Idee handelt. Wichtig ist auch, dass die Professorinnen und Professoren als Mentoren mitwirken. Die Entwicklung der Teams geht immer mehr in Richtung Netzwerk, an dem viele Beteiligte aus der Hochschule arbeiten. Zunehmend spielt die Einbindung der Wirtschaft eine Rolle, da sind wir auf einem guten Weg. Wir können Probleme lösen, die Wirtschaft kann Probleme einbringen, und wir können gemeinsam Lösungsansätze nach dem Startup-Verfahren erarbeiten.

Ripsas: In den letzten drei oder vier Jahren hat sich das radikal verändert. Die großen Unternehmen verlangen von ihren Mitarbeitern zunehmend ein Startup-ähnliches Arbeiten. Dieser Entrepreneurial Mindset ist etwas, das wir an der HWR Berlin in der Lehre und im Gründungszentrum von Anfang an in den Mittelpunkt gestellt haben. Nicht alle unserer Studierenden gründen dann tatsächlich, aber sie haben einen Mindset, der ihnen in der Wirtschaft bessere Chancen bietet.



Wie kann man sich die Arbeit im Gründungszentrum der HWR Berlin konkret vorstellen? Welche Produkte und Services werden von den Startup-Teams aktuell entwickelt?

Ripsas: Da fällt mir zum Beispiel OTEK Bicycles ein, weil ich als Professor der HWR Berlin auch Mentor dieses Teams bin. OTEK entwickelt Fahrradzubehör für urbane Radfahrerinnen und -fahrer mit einem Fokus auf neuen Funktionen, Einfachheit und Ästhetik. Das Team ist mit einem Produkt unterwegs, das noch ausprobiert wird.

Gurol: Ein anderes Beispiel ist LAWIO: verbesserte Kommunikation zwischen Mietern und Vermietern mit dem Ziel, rechtssicher Mietminderung zu formulieren und einzufordern. Bei Suncrafter geht es um das Recyceln von ausrangierten Solar-Modulen, um Menschen ohne Zugang zu Energie eine Lösung zu bieten. Insgesamt betreuen wir 17 Teams, die in der Regel mehrere Phasen durchlaufen. Das ist zum einen „Startup Now“ und im Anschluss stehen die beiden Stipendienprogramme bzw. frühphasige Investoren zur Auswahl. Über das Format Team-Matching in „Startup Now“ können wir z.B. Teams aus Studierenden der HWR Berlin und Alumni zusammensetzen. In der ersten Phase verlieren wir natürlich viele Gründer*innen. Die sind aus unserer Sicht aber nicht gescheitert, sondern haben hier viel gelernt und versuchen es zunehmend ein weiteres Mal mit der Gründung eines Startups.

Ripsas: Der Hintergrund: Wir verstehen Entrepreneurship als ein Entdecken. Das funktioniert nicht so, dass jemand eine Idee hat und es geht nur noch um die Umsetzung. Mit großer Wahrscheinlichkeit verbergen sich hinter einer ersten Idee noch viele falsche Annahmen. Insofern muss man als Gründerin oder als Gründer bewusst schnell lernen, kleine Experimente machen und sich als Entdecker begreifen: Ich weiß nicht, wo der Prozess endet, aber ich traue es mir zu – und es gibt Coaches, zum Beispiel hier am Gründungszentrum, die helfen mir, dieses Entdeckungsverfahren mit so wenig Friktionen oder falschen Abbiegungen wie möglich zu machen. Wir haben nicht die Erwartung, dass die Studierenden schnell einen Businessplan erarbeiten. Der Businessplan ist das Ergebnis unserer zahlreichen Prozesse, die wir hier entwickeln und betreuen.



Welches Potenzial für Gründungsinitiativen sehen Sie in Berlin? Derzeit ist die Entwicklung eines großen Innovationscampus in Planung, der in Siemensstadt – dem Standort des Gründungszentrums – entstehen soll. Welche Rolle spielt die HWR Berlin bei diesem Vorhaben?

Ripsas: Die Planung eines Innovationscampus durch Siemens ist für Berlin eine super Sache! Für die HWR Berlin als eine Hochschule, die das Thema Entrepreneurship repräsentiert und als Gründungshochschule dort seit vielen Jahren aktiv ist, ist es natürlich toll, dass wir gemeinsam mit einem so großen Player wie Siemens hier etwas gestalten. An der Hochschule selbst gibt es gerade einen Strategieprozess, in dessen Zuge wir auch überlegen, wie wir den Entrepreneurial Mindset verstärkt in die Lehre einbringen können.