Co-Teaching, Storytelling und Plan B
Kirsten Kohlhaw und Rafael Kugel sind ein Team. Gemeinsam vermitteln sie Studierenden der HWR Berlin Grundlagen der Unternehmensgründung. Kirsten als Dozentin, Rafael als Entrepreneur in Residence.
Was genau ist ein Entrepreneur in Residence?
Kirsten: Ein Entrepreneur in Residence, kurz: EiR, ist zuerst einmal eine Unternehmerin bzw. ein Unternehmer, die/der im besten Sinne kreativ, innovativ und sinnstiftend unternehmerisch denkt und handelt. Im Entrepreneurship Education Team um Prof. Sven Ripsas integrieren wir EiR als Personen, die aus der Gründer- und Unternehmerpraxis kommen, als Co-Teacher in die Lehre. Sie fungieren als zusätzliche Ansprechpartner für Studierende, liefern eine weitere Perspektive und helfen den Studierenden so, konzept-kreativ und iterativ eigene Vorhaben zu entwickeln, zu reflektieren und auf den Prüfstand zu stellen.
Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?
Kirsten: Rafael und ich kennen uns über die Stiftung für Entrepreneurship und die Projektwerkstatt von Prof. Günter Faltin, in dessen Komponentenportal.de ich seit dessen Gründung als Mentorin für Entrepreneurial Design tätig bin. Rafael war u.a. wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Faltin. Die beiden haben damals gemeinsam Ratiodrink gegründet. Ich war eine der frühen Feedbackgeberinnen und Lektorinnen von Rafaels Buchs „Lean Entrepreneurship - einfach gründen“. Im Laufe unserer Zusammenarbeit stellten wir fest, dass wir uns sehr gerne über Entrepreneurship austauschen.
Rafael: Ich begeistere mich, seit ich denken kann, für das Thema Entrepreneurship. Günter Faltin ist mein geistiger Ziehvater, Förderer und Mentor. Sein Ansatz, Theorie und Praxis im Bereich Entrepreneurship zu verbinden, ist beispielhaft. Seine feste Überzeugung ist es, dass derjenige, der Entrepreneurship lehrt, dies auch selber gemacht und erfahren haben sollte.
In meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Günter Faltin habe mein Unternehmen rapskernoel.info gegründet und die Studierenden live daran teilhaben lassen. Auch meine Gründungen RatioDrink AG (gemeinsam mit Günter Faltin) und Havelwasser werden an vielen Stellen als Beispiel in der Lehre verwendet und haben mittlerweile auch ihren Weg in einige Lehrbücher gefunden.
In diesem Sinne finde ich den Ansatz der HWR Berlin, die praktischen Gründungserfahrungen über das Programm „Entrepreneur in Residence“ in die Hochschule hinein zu holen, hervorragend und habe mich sehr gefreut, als Kirsten mich gefragt hat, ob ich darauf Lust hätte. Hatte ich sehr!!! (lacht)
Wie bringt ihr eure Expertise zusammen an die Studierenden? Wer übernimmt welchen Part?
Kirsten: Ich konzipiere die Lehrveranstaltung und bringe den wissenschaftlichen Part ein, als HWR-Dozentin bin ich primäre Ansprechpartnerin für die Studierenden. In der Projektarbeit und den Gruppenarbeitsphasen im Grundlagenkurs I wechsele ich in die Rolle des Facilitators und Coaches und fungiere so als Ansprechpartnerin und Reflexionshilfe für die Studierenden. So wie Rafael in den gemeinsamen Lehrveranstaltungen mein Co-Teacher ist, bin ich in den Workshops sein „Side Kick“, wenn man so will.
Im Grundlagenkurs II vermittele ich zusätzliches Entrepreneurship-Fachwissen und Methodenkompetenz über Fallbeispiele und theoretische Auseinandersetzung (Entrepreneurship in der Wissenschaft). Den Anwendungsbezug verstärke ich neben Beispielen aus meiner Berufserfahrung und Arbeitspraxis retrospektiv über die eigenen Projekterfahrungen der Studierenden im Grundlagenkurs I.
Rafael: Als Entrepreneur in Residence habe ich zusammen mit Kirsten einen Workshop zu Geschäftsmodellentwicklung und Storytelling mit den Studierenden durchgeführt. Dieser Workshop ist ein Format, ich dem ich versuche, die Studierenden in einem eintägigen Programm mit auf die Reise zu nehmen, wie man Geschäftsmodelle entwickelt und wie ich es selbst in meiner unternehmerischen Praxis täglich erlebe. Die Studierenden sollen nicht nur theoretisch eine Idee entwickeln, sondern auch schon spielerisch praktisch in die Umsetzung einsteigen.
Ausgehend von der Geschichte des Ortes, an dem wir uns befunden haben, haben wir Produkte und Geschäftskonzepte entwickelt, die in Beziehung zu diesen Geschichten stehen. Dabei haben wir uns in diesem Fall auf die Entwicklung neuer Getränke fokussiert. Das Storytelling ist dabei ein zentraler Bestandteil der Geschäftsmodellentwicklung. Aufbauend auf das entworfene Geschäftskonzept haben die Studierenden Prototypen ihrer neuen Produkte entworfen und hergestellt. Diese wurden zum Teil auch schon potentiellen Kunden auf der Straße in einer kleinen Marktstudie mit Verkostung vorgestellt. Zum Abschluss wurden die Geschäftsmodelle vor einer Jury präsentiert und die entstandenen Getränkeprototypen verkostet. So sind die Studierenden sehr schnell ins „Machen“ gekommen, haben sehr früh Feedback potentieller Kunden erhalten und ein erstes, bereits in mehreren iterativen Korrekturschleifen ausgearbeitetes Konzept erstellt. Dabei konnten die Studierenden den Prozess der Geschäftsmodellentwicklung im „Zeitraffer“ erleben und ergänzend dazu Praxisberichte aus erster Hand erhalten.
Bestimmt lernt auch ihr während der Lehrveranstaltungen voneinander, beispielsweise …
Rafael: Die Zusammenarbeit mit Kirsten ist einfach toll! Sie ist inspirierend und sprüht vor Energie! Dabei hat sie eine super strukturierte Vorgehensweise, mit der sie die Studierenden an die Themen heranführt. In der Lehrveranstaltung bringt sie den Studierenden die anspruchsvollen theoretischen Inhalte näher, stets mit praktischen Beispielen aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz verbunden. Alles was sie tut, tut sie mit Leidenschaft und voller Begeisterung. Vielen Dank für die tolle Zusammenarbeit!
Kirsten: Mit Rafael zu arbeiten macht einfach Spaß. Abgesehen von der Leichtigkeit im Miteinander schätze ich besonders seine Professionalität in der Vorbereitung und Durchführung, seine Souveränität und Ernsthaftigkeit. Er lebt ganz für seine Unternehmungen, alles dient ihm als Inspiration und wird auf Relevanz abgeklopft. Und: Er hat immer nen Plan B auf Tasche. Gern erinnere ich mich daran, wie wir mitten in einer Präsentationsphase unerwartet den Raum wechseln mussten und dank der Tatsache, dass er einen eigenen Beamer samt Kabeltrommel dabeihatte, super flott auf ein anderes Setting wechseln und weitermachen konnten. Seither gehe ich nie ohne Kabeltrommel aus dem Haus. (lacht)
Welchen Tipp würdet ihr jungen Menschen geben, die aus dem Studium heraus gründen möchten?
Kirsten: Fühlt euch in jedem Fall eingeladen, die Angebote zu nutzen, die es gibt. An der HWR Berlin und am hochschuleigenen Startup Incubator (SIB) in Siemensstadt gibt es so viele Veranstaltungen, von denen ihr auch ohne ein Stipendium profitieren könnt: Netzwerkveranstaltungen, offene Workshops, UX-Testings, etc. pp.
Wir aus dem Entrepreneurship Education Team unterstützen eine enge Verzahnung zusätzlich über Students for Startups, eine von meiner Entrepreneurship Education Kollegin Julia Gunnoltz maßgeblich begleitete Initiative: Studierende lösen konkrete Fragestellungen von Startups, schreiben Hausarbeiten über bestimmte Themenbereiche, etc. Auch Praktika bei den Startups sind möglich.
Ein Wunsch und eine Herausforderung, die gleichzeitig ein gutes Training ist für die Komplexität des Lebens: Wenn ihr studieren und gründen wollt, nehmt beides ernst. Das unternehmerische Machen und das Studium. Sicher ist der Wechsel zwischen den beiden Rollen gewöhnungsbedürftig, doch auch dafür sind unter anderem die Grundlagenkurse zum Beginn des Studiums da.
Rafael: Man hat im Studium die Möglichkeit, sich auch unternehmerisch auszuprobieren. Nutzt diese Chance! Wenn man erst mal nach dem Studium in der Arbeitswelt steckt, der erste Job einen voll fordert, ist es oft viel schwieriger, sich mit einer eigenen Gründung zu beschäftigen, als während des Studiums. Die Hochschulen bieten heutzutage exzellente Unterstützung für Studierende an, die selber gründen möchten. Und die HWR Berlin ist dabei eine der führenden Hochschulen in Deutschland.
Allgemeines zur Lehrveranstaltung
Die Lehrveranstaltung „Grundlagen der Unternehmensgründung I“ ist Bestandteil des Studiengangs Unternehmensgründung und Unternehmensnachfolge und findet immer im Wintersemester statt, Teil II regulär im Sommersemester.
Der Einsatz eines Entrepreneur in Residence erfolgt im ersten Teil des Grundlagen-Kurses. Hier sind die Studierenden eingeladen, spielerisch und mit einem hohen Anwendungsbezug ins Machen zu kommen und sich sowohl in der Arbeit an einem konkreten Gründungsprojekt als auch in der Teamarbeit mit anderen Co-Foundern zu erleben und zu reflektieren. Der zusätzliche Input und die Erfahrung eines erfolgsreichen Serial Entrepreneurs sind hierfür ein starker Mehrwert.
Kirsten: Als Educator ist mir wichtig, die Studierenden in den neuen Rollen als Studierende und kreativ und ökonomisch handelnde Individuen zu begleiten und zu unterstützen. Sie beginnen den Studiengang mit den unterschiedlichsten Erfahrungshintergründen und Ausgangsvoraussetzungen, sind durchschnittlich zwischen 18 und 35 Jahre jung. Entrepreneurship ist eine interdisziplinäre Querschnittsdisziplin, die wissenschaftlich verankert ist und methodisch fundiert vermittelt werden kann, die jedoch von den (angehenden) Entrepreneuren in jedem Fall durch deren eigene Begeisterung und unternehmerische Energie mit Leben erfüllt werden will.