Kampagne #istjakrass

Wenn Du hier gelandet bist, hast Du vermutlich auf dem Campus Plakate entdeckt und Dich gefragt: Was soll das denn? Und wenn Du genauer hingesehen hast, weißt Du auch schon, dass es um psychische Erkrankungen und Neurodivergenz geht und hier insbesondere um die Sensibilisierung von Nicht-Betroffenen.

Was ist eine psychische Erkrankung, eine Störung, eine Diagnose und wann habe ich einfach nur einen schlechten Tag? Das ist nicht einfach zu beurteilen und für Außenstehende in den allermeisten Fällen nicht zu erkennen. Daher beginnt jedes Plakat mit einem Ausruf: "Ist ja krass", wenn ich erfahre, dass mein Kollege seit Jahren eine Essstörung hat. Oder: "Ist ja krass", dass Du Burnout hast.

Auch im Hochschul-Kontext kann das schwierig werden. Wieso trägt die Person so wenig zur Gruppenarbeit bei? Wieso darf sie die Klausur in einem separaten Raum schreiben? Wieso ist sie schon wieder nicht zur Prüfung erschienen? Das birgt Konfliktpotential, was für die Betroffenen eine zusätzliche Bürde ist. Um das Zusammenleben zu verbessern und gegenseitiges Verständnis zu schaffen, gibt es nun die Kampagne "istjakrass". Die Plakate sollen Gesprächsanlässe bieten und die Aufmerksamkeit für psychische Erkrankungen erhöhen. Es ist wichtig, einander zuzuhören und aufeinander zuzugehen.

Es betrifft also etwa eine*n von zehn Studierenden. Du kennst sicher jemanden. Weißt Du, wer es ist?

Diagnosen auf den Plakaten

Die Diagnosen wurden ausgewählt, weil sie statistisch unter Studierenden häufig auftreten. Selbstverständlich gibt es noch mehr und ganz vielfältige andere Diagnosen, auch Kombinationen aus verschiedenen. Es kommt vor, dass psychische Erkrankungen und AD(HS) bzw. Autismus lange unerkannt und undiagnostiziert bleiben, zum Beispiel aus Unwissen, Angst vor Stigmatisierung oder Scham. Damit wird Betroffenen das Leben erschwert und eine Therapie unmöglich. Miteinander zu sprechen ist der erste, wichtige Schritt.

01

Essstörung

Kampagnenbild "istjakrass" zu Essstörung
Gestaltung © Alexandra Klenke-Struve, Illustration © Eva-Maria Birkhoff

Viele assoziieren mit dem Wort Essstörung heranwachsende Frauen mit einem klaren Streben nach einem vermeintlichen Schönheitsideal. Essstörungen haben jedoch vielfältige Auslöser (Trigger): Stress im Studium, z.B. übermäßiger Leistungsdruck, ein (gefühlter) Kontrollverlust, Depressionen, soziale Unsicherheit oder Konflikte, um nur ein paar wenige zu nennen. Sie kommen in allen Geschlechtern und Altersstufen vor. Eine Essstörung ist häufig ein Symptom für etwas seelisch Tieferliegendes. Ausprägungen einer Essstörung sind unter anderem Bulimie (Ess-Brech-Sucht), Anorexie (Magersucht) oder Sportzwang, aber auch das sogenannte Binge Eating (übermäßiges, unkontrolliertes Essen).

Zum Weiterlesen

02

Borderline-Syndrom

Kampagnenbild "istjakrass" zu Borderline
Gestaltung © Alexandra Klenke-Struve, Illustration © Eva-Maria Birkhoff

Betroffene einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erleben starke, sehr schwer kontrollierbare Stimmungs- und Gefühlsschwankungen. Dies führt häufig zu einer enormen inneren Anspannung. Um diese innere Anspannung zu lindern, greifen manche Betroffene zu riskanten Aktivitäten oder Selbstverletzungen. Ein weiteres Symptom ist eine Unempfindlichkeit für Schmerzen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Symptomatik sehr vielfältig ist und es kein einheitliches Erkennungsmerkmal gibt. Nicht jedes Borderline-Syndrom verletzt sich selbst, nicht jede Selbstverletzung ist das Borderline-Syndrom. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen, wobei Männer sich viel seltener in Therapie begeben. Daher ist es besonders wichtig, Vorurteile auszuräumen und ein offenes Ohr zu haben. Unter dem Hashtag #endthestigma sind Beiträge gesammelt, um psychische Erkrankungen und Belastungen zu entstigmatisieren und offener darüber zu sprechen.

03

Burnout

Kampagnenbild "istjakrass" zu Burnout
Gestaltung © Alexandra Klenke-Struve, Illustration © Eva-Maria Birkhoff

Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird Burnout nicht als eigenständige Krankheit eingestuft, sondern als gesundheitsbeeinträchtigender Faktor. Burnout resultiert aus chronischem Stress am Arbeitsplatz, oder im Studium, der möglicherweise nicht erfolgreich verarbeitet wird, z.B. auch aufgrund hoher privater Belastung. Zuerst wurde Burnout bei Menschen in Sozialberufen beobachtet, also bei Menschen, die sich im Beruf persönlich stark für eine Sache einsetzen. Eine Dimension von Burnout ist ein andauerndes Gefühl von Erschöpfung, das nicht durch Urlaub oder Erholung am Wochenende besser wird. Auch eine zunehmende geistige Distanz oder negative Haltung zum Job/Studium, Aufschieben von Aufgaben, verringertes (berufliches) Leistungsvermögen und Nachlassen der Konzentrationsleistung sind Anzeichen. Die Liste der Symptome ist allerdings sehr lang und vielschichtig. Es ist wichtig zu wissen, dass die tatsächliche Arbeitsbelastung nicht mit dem individuellen Stressempfinden gleichzusetzen ist. Für eine Person kann das Studium zu viel sein, für die andere gerade richtig. Um Burnout zu vermeiden, ist es wichtig, Strategien zur Stressbewältigung zu lernen und für sich selbst einen gesunden Ausgleich zwischen Arbeit/Studium und Freizeit zu schaffen. 

04

PTBS

Kampagnenbild "istjakrass" zu PTBS
Gestaltung © Alexandra Klenke-Struve, Illustration © Eva-Maria Birkhoff

Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kennen einige von Euch vermutlich aus US-Fernsehserien, in denen Kriegsveteran*innen Erlebtes nicht verarbeiten können und beispielsweise mit aggressivem Verhalten reagieren. Eine posttraumatische Belastungsstörung kann jedoch sehr viele Ursachen und Erscheinungsformen haben. Während Ereignissen, die eine PTBS auslösen können, empfinden betroffene Personen ein ausgeprägtes Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit, wie z.B. bei schweren Unfällen oder Gewaltverbrechen. Zu beachten ist, dass die Reaktionen auf das augenscheinlich gleiche Trauma unterschiedlich sein können. Verallgemeinerung im Sinne "X hat auch Y erlebt und ihr geht es damit besser als dir" sind daher nicht sinnvoll und belasten die Betroffenen zusätzlich. Symptome einer PTBS können unter anderem sein: Flashbacks an das Erlebte und Angstträume, Abgestumpftheit und emotionale Gleichgültigkeit, Vermeidungsverhalten, um nicht an das Erlebte erinnert werden zu müssen, Konzentrationsschwierigkeiten und ausgeprägte Schreckhaftigkeit.

05

Angststörung

Kampagnenbild "istjakrass" zu Angststörung
Gestaltung © Alexandra Klenke-Struve, Illustration © Eva-Maria Birkhoff

Prüfungsangst, Spinnenphobie, Höhenangst. Alle Menschen haben Angst - und das ist auch gut so. Sie bewahrt uns vor gefährdenden Entscheidungen und Situationen. Angst kann jedoch in manchen Fällen im Alltag Überhand nehmen und das ganze Leben bestimmen. Angststörungen gibt es in verschiedenen Formen. Bei einer Panikstörung treten in unregelmäßigen Abständen Panikattacken auf. Bei der generalisierten Angststörung haben Betroffene anhaltende Sorgen und Ängste über verschiedene Lebensbereiche hinweg, die nicht auf bestimmte Dinge bezogen sind. Diese Angst kann dazu führen, dass die Personen angstauslösende Situationen stark vermeiden oder aufschieben. Auch bei der Sozialen Phobie werden Situationen vermieden, wie z.B. reisen, zu einem Seminar zu gehen, sich in einer Vorlesung zu melden, etwas vorzutragen oder sich ärztlich behandeln zu lassen. Etwa 7% (!) der Bevölkerung sind von Sozialer Phobie betroffen. Bei dieser Form der Angststörung haben Menschen in Situationen Angst, in denen sie sich kritisch betrachtet fühlen. Sie tritt am häufigsten zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr auf - also genau während des Studiums. Für die betroffenen Personen sind oft z.B. schriftliche Prüfungen besser machbar als mündliche. Auch Zwangserkrankungen können unter anderem durch übersteigerte Angst ausgelöst werden. 

06

Depression

Kampagnenbild "istjakrass" zu Depression
Gestaltung © Alexandra Klenke-Struve, Illustration © Eva-Maria Birkhoff

Alle haben davon gehört, viele kennen mindestens eine betroffene Person. In Deutschland sind schätzungsweise 5% der Bevölkerung, das heißt ca. 4 Millionen Menschen aktuell von einer Depression betroffen. Nicht alle sind deshalb in therapeutischer oder medikamentöser Behandlung oder wissen selbst um ihre Depression. Menschen mit einer Depression berichten von andauernder Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit, der Unfähigkeit Freude zu Empfinden und Schlafstörungen Depressive Phasen können wiederkehrend auftreten (unipolar) oder sich mit Phasen unerklärlicher Euphorie (Manie) abwechseln (bipolar). Alle Menschen durchleben hin und wieder Phasen von Traurigkeit und Antriebslosigkeit. Allerdings finden Menschen ohne Depression aus diesen Phasen einen Ausweg - einen Spaziergang machen, Freund*innen treffen oder andere Dinge tun, die Spaß bereiten. Deshalb ist es für Außenstehende so schwierig, Menschen mit Depressionen gute Ratschläge zu geben. "Mal wieder raus gehen" fällt Betroffenen sehr schwer und ein ungefragter Ratschlag hilft ihnen dabei nicht. Depressionen müssen ernstgenommen werden! 10 bis 15% der Menschen mit schwer ausgeprägten Depressionen sterben durch Suizid. Dabei fragen die Personen oft um Hilfe, was von Außenstehenden aber manchmal nicht als Hilferuf erkannt wird. Es ist wichtig, Betroffenen zuzuhören und auf ihre Bedürfnisse zu achten. Als Freund*in, Kommiliton*in oder Dozierende*r sollte man keine falsche Scheu haben, betroffene Mitmenschen offen auf mögliche Suizidgedanken anzusprechen. Man kann niemandem in den Kopf schauen, aber eine ehrliche und offene Nachfrage kann die Hürde für betroffene depressive Menschen verringern, über Suizidgedanken zu sprechen. Dies kann der erste Schritt sein, gemeinsam Lösungen zu finden und so Leben zu retten. Ein Podcast der Universität Münster beschreibt das Thema "Studieren mit Depressionen" in zwei Folgen.

07

Autismus

Kampagnenbild "istjakrass" zu Autismus
Gestaltung © Alexandra Klenke-Struve, Illustration © Eva-Maria Birkhoff

Das Feld der Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) ist sehr weit. Im Wesentlichen werden drei Formen des Autismus unterschieden: frühkindlicher Autismus, Asperger-Autismus und Atypischer Autismus. Intellektuell begabtere Menschen, und insbesondere Mädchen und Frauen wurden früher in der Diagnostik häufig übersehen, weswegen leider das Klischeebild des Jungen mit geistiger Behinderung entstand. Das entspricht jedoch bei Weitem nicht der Realität. Neuere Untersuchungen sprechen von einer Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen in 1% der Bevölkerung. Leichter ausgeprägte Formen sind dabei manchmal kaum wahrzunehmen, da die "klassischen" Symptome wie Unterschiede in der Kommunikation, in der sozialen Interaktion oder stereotypes Verhalten nicht allzu ausgeprägt erscheinen. Umso überraschender kann es dann für andere sein, wenn eine Person plötzlich scheinbar ungewöhnliche Verhaltensweisen zeigt. Gruppenaktivitäten, Licht und Geräusche können bei autistischen Personen zu einer sensorischen Überlastung führen. Auch ungewohnte und sich plötzlich verändernde Abläufe können verunsichernd wirken. Dies kann bei Autist*innen z.B. zu Konzentrationsschwierigkeiten, temporärem Sprachverslust, Angst, repetitiven Bewegungen oder zu einer Verweigerung des Kontakts mit anderen führen. Im Studium brauchen autistische Personen daher manchmal Einzelräume oder Ruhezonen. Im Konzept der Neurodiversität (s. Absatz weiter unten) wird Autismus als Ausprägung der menschlichen Psyche und damit nicht als Störung gesehen.

08

AD(H)S

Kampagnenbild "istjakrass" zu ADHS
Gestaltung © Alexandra Klenke-Struve, Illustration © Eva-Maria Birkhoff

AD(H)S bedeutet Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts)störung - ein langes und sperriges Wort. Verknüpft wird es oft mit dem Bild des überdrehten Kindes, das nicht stillsitzen kann. AD(H)S tritt allerdings auch im Erwachsenenalter auf und kann das Studium erschweren. Da die Symptome als erwachsene Person sich stark von denen in der Kindheit unterscheiden, bleibt AD(H)S nicht selten unerkannt und undiagnostiziert. AD(H)S äußert sich in vielfältiger Weise. Manche Personen haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, haben häufige Gedankensprünge oder verlieren sich in Tagträumen, brauchen klare Tagesstrukturen, können aber sehr schnell Neues lernen, wenn sie sich dafür interessieren. Wie autistische Personen ordnen sich manche Personen mit AD(H)S als Neurominderheit ein (s. Absatz unten über den Begriff neurodivers). Social-Media-Kanäle aus der Community können helfen, sich über AD(H)S zu informieren, z.B: @the_mini_adhd_coach auf Instagram.

Was bedeutet der Begriff 'neurodivers'?

Das Konzept der Neurodiversität beschreibt, dass neurobiologische Unterschiede menschliche Verschiedenheiten sind und als diese respektiert werden: so wie alle Menschen z.B. verschieden aussehen, funktioniert auch ihr Gehirn anders. Nach diesem Konzept sind alle Menschen neurodivers. Menschen, die nicht der vermeintlichen Norm (neurotypisch) entsprechen, werden als Neurominderheit bezeichnet. Autismus, AD(H)S, Legasthenie, Dyskalkulie etc. werden so als natürliche Variation der menschlichen Diversität angesehen. Während es von verschiedenen Seiten Kritik an diesem Konzept gibt, leistet es doch einen wertvollen Beitrag zur Diskussion und hinterfragt, was eigentlich normal ist und wer diese vermeintliche Normalität definieren darf.

09

Zahlen und Fakten

Eine im Studienjahr 2021 durchgeführte Erhebung des Deutschen Studentenwerks ("best3") ergab, dass von den befragten Studierenden 16 % mit einer studienerschwerenden Beeinträchtigung studieren. Von diesen wiederum gaben  knapp zwei Drittel  (65%) eine psychische Beeinträchtigung an. Studierende mit  Autismusspektrumstörung und AD(H)S sind in der Kategorie „andere Beeinträchtigung“ (5 %) erfasst. 

Auch ist empirisch umfassend belegt, dass sich 75 % der psychischen Erkrankungen bis zum jungen Erwachsenenalter erstmalig zeigen – was auch für Studierende gilt (Weber, R. 2024 in Forschung und Lehre 2/24).

Verhaltensweisen und Symptome werden dann zu einer behandlungsbedürftigen Erkrankung, wenn betroffene Menschen aufgrund der Symptome sehr hohen Leidensdruck haben und sie ihren Alltag nicht mehr angemessen und selbstständig gestalten können, wenn "normale" Aktivitäten (z.B. in die Vorlesung gehen, regelmäßig essen, morgens aufstehen, Lebensmittel einkaufen oder jemanden anrufen) plötzlich zu unüberwindbaren Hürden werden. Spätestens dann sollten sich Betroffene professionelle Hilfe suchen. Eine Diagnose kann eine Entlastung darstellen, denn so wird klar, welche Unterstützungsangebote nötig sind, um das Studium und alle anderen Lebensbereiche erfolgreich zu bewältigen. Daher ist es ratsam, sich bereits bei ersten Symptomen, Hilfe zu suchen. Sich einer Person anzuvertrauen, Dozierende anzusprechen oder sich an die Psychologische Beratung, die Inklusionsberatung oder eine externe Beratungsstelle zu wenden, kann bereits helfen, damit sich die Symptome nicht manifestieren.


Die Kampagne #istjakrass ist ein Projekt des Referats Chancengleichheit und Familie der Universität zu Lübeck (2021). Durchgeführt wurde es von der Inklusionsbeauftragten Anna Luther in Kooperation mit Susen Köslich-Strumann (Gesunde Hochschule, Studierendengesundheit), Jasmin von Zezschwitz (Inklusionsbeauftragte des AStA), Alexandra Klenke-Struve (Grafisches Konzept, Gestaltung und Art-Direktion), Eva-Maria Birkhoff (extern, Illustrationen). 

Wir bedanken uns bei der Universität zu Lübeck für das Zurverfügungstellen der Kampagne.