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Das Gesundheitssystem krisenfester machen

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege, dem Prof. Dr. Beate Jochimsen angehört, übergab das Gutachten 2023 an Gesundheitsminister Lauterbach.

20.01.2023

Der SVR Gesundheit und Pflege übergibt das Gutachten 2023 an den Bundesgesundheitsminister. Copyright: BMG/Thomas Ecke

Seit Januar 2019 ist Prof. Dr. Beate Jochimsen von der HWR Berlin, Expertin für öffentliche Finanzen und Föderalismus, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege (kurz: SVR Gesundheit und Pflege). Die insgesamt sieben Ratsmitglieder haben das Gutachten 2023 zur Krisenfestigkeit des Gesundheitssystems verfasst, das am 19.01.2023 an den Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach übergeben wurde. Die anschließende Pressekonferenz stand unter dem Titel „Wie wir das Gesundheitssystem krisenfester machen können. Wege zur Stärkung der Resilienz des deutschen Gesundheitssystems“.

Wir haben Prof. Dr. Beate Jochimsen drei Fragen zum Gesundheitssystem und zum diesjährigen Gutachten gestellt:

Frau Prof. Jochimsen, inwiefern haben sich die Herausforderungen für unser Gesundheitssystem (u.a. als Auswirkung der Pandemie) in den letzten drei Jahren verändert?

Deutschland wird derzeit von vielen Krisen zeitgleich getroffen und herausgefordert: SARS-CoV-2-Pandemie, Klimawandel, Krieg in Europa und als Folge unterbrochene Lieferketten, Hochwasser und Energieknappheit. Diese Krisen berühren auch das Gesundheitssystem und zeigen wie in einem Brennglas den überfälligen, notwendigen Strukturwandel. In der Krankenhausversorgung, im Rettungswesen und bei der Krisenvorbereitung mangelt es nicht an guten Analysen und Reformkonzepten. Vielmehr haben wir hier ein Daten- und Umsetzungsproblem.

Was ist die aus Ihrer Sicht wichtigste Erkenntnis des diesjährigen Gutachtens?

Nach wie vor werden die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung nur unzureichend genutzt. Die SARS-CoV-2-Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass wir eine verantwortliche Datenerhebung und -nutzung zur Einschätzung von Krankheitsverläufen und Impfungwirkungen, aber auch zur Beurteilung von nicht-medizinischen Maßnahmen zwingend benötigen. Deutschland leidet immer noch unter einem häufig leerlaufenden Datenschutzverständnis. Datensicherheit erhält man nicht durch seitenlange Einwilligungserklärungen.

Was braucht unser Gesundheitssystem dringend, um besser durch zukünftige Krisen zu kommen?

Wir brauchen eine koordinierte Vorbereitung auf den Krisenfall, die mit ausreichenden finanziellen, personellen und technischen Ressourcen unterlegt ist. Dazu gehört eine bessere Abstimmung und klare Aufgabenzuteilung für den Krisenfall zwischen Bund, Ländern und Landkreisen bzw. Kommunen. Dazu gehört aber auch das ressortübergreifende Prinzip „Health in All Policies“, also die Berücksichtigung der gesundheitlichen Auswirkungen von politischen Entscheidungen und Maßnahmen in allen Politikbereichen, z.B. Umwelt, Arbeit, Wohnungs- und Städtebau, Verkehr, Wirtschaft und Bildung. Konkret könnten dazu verpflichtende gesundheitspolitische Stellungnahmen bei Gesetzesvorhaben dienen. Schließlich gebührt dem öffentlichen Gesundheitsdienst eine wichtigere Rolle bei der Vorbereitung und im Management von Krisen. Ein „Bundesdateninstitut“ könnte hier für die Erhebung, Zusammenführung, Bereitstellung, Analyse und Aufbereitung von Daten zuständig sein, die für das Gesundheitswesen relevant sind und die der Forschung und Politikberatung zur Verfügung stehen.

Allgemeines zum SVR Gesundheit und Pflege

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege (SVR Gesundheit und Pflege) ist ein seit 1985 gesetzlich verankertes Gremium wissenschaftlicher Politikberatung im deutschen Gesundheitswesen und erstellt Gutachten mit Analysen und Reformvorschlägen. Der SVR ist interdisziplinär besetzt und umfasst sieben Mitglieder, die für die Dauer von vier Jahren vom Bundesminister für Gesundheit berufen werden.

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