Prof. Dr. Petra Sußner

Prof. Dr. Petra Sußner ist seit April 2025 Gastprofessorin für Recht, insbesondere mit Schwerpunkt auf Geschlechterfragen im Recht am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement.

09.09.2025

Foto: privat

Wer oder was diente für Sie als persönliche Inspiration für Ihren Berufsweg als HAW-Professorin?

Erst einmal meine Rechtspraxis in Wien. Die Erkenntnis, dass sich Strategien und Hindernisse des Rechtsalltags über einen Schritt zur Seite genauer verstehen lassen. Dieses Bedürfnis, Erfahrungen vor Gericht, Behörden oder aus der Arbeit mit Geflüchteten einzuordnen, hat mich in die Wissenschaft gebracht. Von Wien über Amsterdam an die Humboldt Universität zu Berlin, und mit der HWR nun schließlich – und über diese Synergie freue ich mich – wieder einen Schritt in Richtung Praxis.

Dabei bin ich, wie wir alle, ein verwobenes Wesen. Mit vielfältigen Beziehungen. Ich bin dankbar für die Menschen, die mich im Laufe der Jahre herausgefordert haben, mir die Möglichkeit gegeben haben, anders und neu zu denken; ich durfte Verfahren vor dem EGMR mitführen, Menschen kennen lernen, die so viel mehr geschafft haben, als ich in meiner passprivilegierten Position jemals schaffen musste. Menschen haben mir die Chance gegeben, meine Ideen – oft weit jenseits der herrschenden Geschlechternormen – zu Papier und in die Öffentlichkeit zu bringen; haben mich von shitty first draft bis zu Buch, Konferenz oder Vortrag im besten Sinn kritisch und wohlwollend begleitet. 

Mit all dem komme ich jetzt zu Ihnen an die HWR. 

Angewandte Wissenschaft bedeutet für mich …

als Rechtswissenschafter:in den Anspruch, Fachwissen, das oft als sperrig oder technisch gilt und noch viel zu sehr in bürgerlichen Gesellschaftsbereichen verhaftet ist, zu demokratisieren. Das bedeutet, Praxistransfer nicht nur als add-on auf dem Förderantrag zu begreifen, sondern als Eigenwert, dem ich mit Neugier begegne. Als Kollektiv Epistemic Ruptures haben wir das an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst versucht; gemeinsam mit dem UNHCR habe ich über Jahre Workshops und Gesprächsräume für Gerichte und Behörden eröffnet. 

Hier an der HWR habe ich nun die Möglichkeit, diesen Anspruch – Praxistransfer als Eigenwert – ganz alltäglich in meine Praxis zu integrieren, ohne dafür extra Zeit oder Raum einplanen zu müssen. Und zumindest nach dem ersten Semester kann ich sagen: Meine Erwartungen sind nicht enttäuscht worden.

Welche Impulse möchten Sie Studierenden mit auf den Weg geben, wenn Sie sich gemeinsam mit Geschlechterfragen im Recht befassen?

Stichwort Neugier. Ich habe immer wieder das Glück gehabt, neugierig sein zu dürfen. Mit Neugier meine ich auch die Gewissheit, sich ausprobieren zu können, mal falsch liegen oder die Meinung ändern zu können. Eröffne ich heute Lehr- und Lernräume, ist das ein Ziel, das ich für diese Räume verfolge – und das gilt ganz besonders für Geschlechterfragen: Geschlecht ist – ebenso wie Recht – eine normative Größe in unserer Gesellschaft. Es durchdringt Institutionen, Lebenswege und Erfahrungen, bestimmt unser Verhalten. Das beginnt bei Ihrer Geburt, bei der Ihnen (k)ein Geschlecht zugewiesen wird. Es beeinflusst, wie gut Sie in der Bar auf Ihr Glas achten ebenso wie die Einschätzung, ob Sie ohne (einsatzbezogenes) Selbstverteidigungstraining allein im Wald joggen gehen sollten. Geschlecht ist allgegenwärtig und umso weniger verwundert, wie die Frage danach emotionalisieren kann; oft gerade, wenn Geschlecht als „doch egal“ stigmatisiert ist. Wir alle verhalten uns dazu, jeden Tag. Und das endet nicht vor der Hörsaaltüre. 

Hier an der HWR, im Hörsaal, besteht die Chance, einen Schritt zur Seite zu gehen. Im Wissen um die eigene Verstricktheit, Geschlechterfragen methodisch und theoretisch fundiert einzuordnen – und so mehr über uns und unsere Gesellschaft zu erfahren. Geschlecht zu einer Größe zu machen, die wir reflektieren, statt dass sie uns „einfach so passiert“. 

Sich mit Recht und Geschlecht auseinander zu setzen, heißt, Wissen aus Psychologie oder Soziologie mit „hartem“ juristischen Klausurwissen zu verbinden. Anders gesagt, Geschlecht ist keine normative Größe, die sich ohne Weiteres juristisch messen lässt. Da gibt es kein Staatsorganisationsrecht, das die (Re)Produktion von Geschlecht verfassungsrechtlich absichert, keinen Katalog von Ordnungswidrigkeiten und kein Bundesgesetzblatt, dem wir Neuerungen entnehmen können. Gleichzeitig prägen sich Recht und Geschlecht laufend gegenseitig, sei es im Zusammenspiel von Eingriffsrecht, Grundgesetz und LADG, über Dienstrecht oder Gewaltprävention im digitalen Raum. Gerade für fortgeschrittene Studierende liegt hier die Chance, interdisziplinär und forschend zu lernen. Die Abschlussarbeiten der HWR-Genderbibliothek zeugen davon. 

Was wünschen Sie sich für Frauen in der Wissenschaft?

und Unterrepräsentation weniger als erschreckende Einzelfälle, böse Absicht oder persönliches Versagen begreifen. Ich wünsche mir Verständnis für Geschlechterverhältnisse als historisch gewachsenen Machtverhältnisse – in denen wir alle leben. Wollen wir diskriminierungskritisch vorgehen, eine exzellente Wissenschaft haben, braucht es Bewusstsein dafür, dass Frauen von spezifischen Positionen aus starten. Juristisch ausgedrückt, ein materielles Gleichheitsverständnis pflegen. Gleichheit bedeutet, tatsächlich unterschiedliche Startpositionen (rechtlich) zu berücksichtigen; positionierte Objektivität zu pflegen, wie es in der feministischen Wissenschaftstheorie auch heißt. 

Und dafür wünsche ich mir ein intersektionales Gleichheitsverständnis für Frauen in der Wissenschaft: Frauen (wie Männer) können cis-, endo- trans- oder inter sein. Wissenschafter:innen sind binäre und nicht binäre Personen – und all das kann sich im Laufe einer Biographie neu verweben und verändern. Personenstandsrechtlich stehen in Deutschland mehr als zwei Geschlechtereinträge offen. Für sie braucht es Raum an den Hochschulen. Raum braucht es auch für postmigrantische und BiPoC Personen. Schauen wir in Wissenschaftsgremien, Zeitschriftenredaktionen und Leitungsfunktionen, dann fehlen viele von ihnen. Unsere Vortragssäle, Lehrformate und Jobprofile behindern Wissenschafter:innen. Es fehlt an barrierearmen Zugängen, die nicht erst auf Zuruf eröffnet werden. Intersektionalität ist in der Geschlechterforschung state of the art. Ich wünsche uns allen, dass sie an den Hochschulen gelebte Praxis wird und bleibt. 

Wie bleiben Sie kreativ und innovativ in Ihrer Forschung und/oder Lehre?

Zum Schluss in aller Kürze: Weil ich Spaß daran habe. Ich unterrichte gerne, das ist an einer Hochschule ein Muss. Genauso liebe ich es, am Vormittag ruhige Stunden am Schreibtisch zu haben und meine Forschung voranzutreiben. Ein idealer Tag bringt mir beides – und im optimalen Fall noch guten Kaffee mit lieben Kolleg*innen. 

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