Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten
Am 20.09.2022 luden das Harriet Taylor Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung (HTMI) der HWR Berlin und der Deutsche Frauenrat (DF) zu einem gemeinsamen »Politischen Talk« ein.
Der digitale Wandel ist einer der wichtigsten Transformationsprozesse unserer Zeit. Wie wichtig es ist, Digitalisierungs- und Gleichstellungspolitik zusammenzudenken, ist mit der Veröffentlichung des Dritten Gleichstellungsberichts besonders deutlich geworden. Die im Bericht angesprochenen Themen reichen von geschlechtergerechter sowie diskriminierungsfreier Technikgestaltung über die Chancen und Barrieren Mobiler Arbeit bis zu den Auswirkungen von digitaler Gewalt. Mit Blick auf die Zukunft stellt sich die Frage, wie technologisierter Fortschritt Frauen und Männern gleichermaßen zugutekommen kann und wie verhindert werden kann, dass bestehende Geschlechterungleichheiten mit dem digitalen Wandel reproduziert werden, neu entstehen oder verstärkt werden.
Mit Ana Dujic (Abteilungsleiterin Denkfabrik, Digitale Arbeitsgesellschaft im Bundesministerium für Arbeit und Soziales), Dr. Petra Follmar-Otto (Abteilungsleiterin Gleichstellung im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Daniela Kluckert (Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Digitales und Verkehr) brachte die Veranstaltung drei der zentralen Bundesministerien für die Umsetzung der Handlungsempfehlungen des Sachverständigengutachtens zum Dritten Gleichstellungsbericht zusammen. Kern der Diskussion war die Frage, welche Rahmenbedingungen notwendig sind, um die Handlungsempfehlungen politisch gut umzusetzen. Mit Lisi Maier (Co-Direktorin Bundesstiftung Gleichstellung), Dr. Beate von Miquel (Vorsitzende DF) und Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok (Vorsitzende der Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung und Direktorin des HTMI) saßen außerdem Vertreterinnen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und der Bundesstiftung Gleichstellung als Transfereinrichtung mit auf dem Podium.
In ihrer Keynote stellte Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok ausgewählte Handlungsempfehlungen des Sachverständigengutachtens vor. Darauf aufbauend wurden bei der anschließenden Paneldiskussion verschiedene Umsetzungsstrategien der Bundesregierung dargelegt und gleichstellungspolitische Vorhaben im Themenfeld Digitalisierung diskutiert.
Der Schwerpunkt des folgenden Panels lag auf drei Themenfeldern, die in der Politik wenig gleichstellungspolitisch betrachtet werden: Technikgestaltung, Plattformarbeit und die nationale Weiterbildungsstrategie. Der Frauenanteil in der IT-Branche liegt bei eklatant niedrigen 16 Prozent. Die männlich geprägte Arbeitskultur in der Digitalbranche hält Frauen fern, die Gestaltungsmacht liegt bei den Männern. Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis ist aber ein entscheidender Faktor, um vielfältige Erfahrungsperspektiven in die technische Entwicklung zu integrieren und so Diskriminierung vorzubeugen. Um strukturelle Macht geht es auch beim Thema Plattformarbeit. Welche arbeitsrechtlichen Schutzmechanismen greifen in der Plattformökonomie? Insbesondere mit Blick auf Geschlechterverhältnisse ist es wichtig, soziale Absicherungen in der Plattformarbeit zu ermöglichen. Aber auch über die IT- und Digitalbranche hinaus wird es entscheidend sein, inwiefern es gelingt, digitalen Kompetenzerwerb und gleichstellungsorientierte Instrumente in der nationalen Weiterbildungsstrategie zu verankern. Klar ist: Auch diejenigen, die heute in Arbeit sind, müssen für eine digitalisierte Arbeitswelt von morgen ausgestattet sein.
Bei der Diskussion wurde deutlich, dass Gleichstellung als leitende Idee in der jüngst von der Bundesregierung beschlossenen Digitalstrategie formuliert ist und die darin genannten gleichstellungspolitischen Maßnahmen gute Ansätze sind. Dabei werden einige Empfehlungen des Sachverständigengutachtens zum Dritten Gleichstellungsbericht in der Strategie aufgegriffen. Darunter Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor digitaler Gewalt, hier insbesondere das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt, Maßnahmen zur Förderung von Frauen in MINT und bei Unternehmensgründungen, zur Beseitigung von Geschlechterstereotypen in der Berufsorientierung oder zur Erhöhung des Frauenanteils in der Digitalbranche.
Die Beteiligten des Panels waren sich jedoch einig: Die Maßnahmen reichen noch nicht aus. So kommentierte Daniela Kluckert, dass beim Monitoring der Digitalstrategie eventuelle Leerstellen identifiziert werden müssten. Es brauche weiterhin den Druck der Zivilgesellschaft, betonte Ana Dujic. Dr. Petra Follmar-Otto verwies auf die ressortübergreifende Verantwortung, die Digitalisierung geschlechtergerecht zu gestalten. Dr. Beate von Miquel machte darauf aufmerksam, dass eine übergeordnete Umsetzungsstrategie fehle, um einzelne Maßnahmen und Instrumente sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Auch fehlten konkrete Vorhaben zur Erhöhung der digitalen Teilhabe von Frauen, die dazu beitragen könnten, den Digital Gender Gap zu schließen oder den Frauenanteil in digitalisierungsrelevanten Gremien zu erhöhen. „Querschnittsthemen müssen auch querschnittspolitisch behandelt werden“, ergänzte Lisi Maier. Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok fügte ausblickend hinzu „Gestaltungsmacht in der Digitalisierung bedeutet neben Budgetfragen auch, dass die entsprechenden Entscheidungsgremien paritätisch besetzt sind.“ Einigkeit bestand darin, dass zur besseren Erfassung der gesellschaftlichen Auswirkungen der digitalen Transformation neben der gezielten Forschungsförderung auch die Haushalts- und Finanzpolitik zukünftig stärker in den Blick genommen werden muss, damit eine geschlechtergerechte Digitalpolitik gelingt.