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International Forschen in Zentralasien

Für den Ausbau unserer internationalen Kooperationen reiste Prof. Dr. Christine Bartsch nach Kasachstan. Ziel ist u.a. eine Summer School für Studierende mit der Deutsch-Kasachischen Universität.

10.11.2023 — Prof. Dr. Christine Bartsch

Foto: privat

Im Wintersemester 2020/21 wurde am Fachbereich 5 Polizei und Sicherheitsmanagement eine weitere Runde zu Partnerschaften mit Hochschulen in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa sowie dem Kaukasus und Zentralasien, genannt "Ostpartnerschaften" – 2021-2023“, beim DAAD beantragt.

Eine wunderbare Möglichkeit, um neue internationale Kooperationen für Forschung und Lehre aufzubauen. Da ich kurz vorher auf privatem Wege die Deutsch-Kasachische Universität (DKU) in Almaty/Kasachstan kennengelernt hatte, wollte ich dorthin Beziehungen aufbauen. Nun ist es leider so, dass sich meine Schulrussischkenntnisse im Dunkeln versteckt halten und lediglich das kyrillische Alphabets abrufbar geblieben ist. Für die Kommunikation mit der DKU ist das allerdings gar kein Problem, dort sind viele Dozierende deutschsprachig, und auch wenn Englisch eher eine untergeordnete Rolle spielt, so steht es für die Kommunikation auf jeden Fall auch zur Verfügung.

Mit tatkräftiger Unterstützung eines ukrainischen Kollegen von der HWR Berlin und zweier extrem fleißiger studentischer Hilfskräfte aus unserem Masterstudiengang International Security Management stießen wir nach einiger Recherchearbeit auf eine deutschsprachige Kontaktperson in der für uns interessanten Fakultät World Politics, in der es u.a. auch einen Bachelorstudiengang zu International Relations gibt. Der damalige Leiter des Centre for Research & Graduate Education (CRGE), Prof. Dr. Sebastian Mayer, wurde unser Ansprechpartner an der DKU. Zusammen mit ihm konnten wir rasch Themenüberschneidungen finden, die für einen Studierendenaustausch mit gemeinsamen Forschungsaktivitäten interessant erschienen. Leider war es uns während der Pandemie nicht möglich, diese Ideen durch persönliche Treffen mit Leben zu füllen und weiter zu vertiefen, aber ein Grundstein wurde gelegt.

So konnten wir im Februar des letzten Jahres unser erstes, international besetztes eintägiges Webinar für Studierende der DKU und der HWR Berlin zu globalen Sicherheitsthemen durchführen, das bei allen Beteiligten sehr gut ankam.

Vieles hat sich seither in Almaty verändert. Nicht nur durch die gewaltsamen Proteste und Unruhen im Januar 2022, die zum Rücktritt der damaligen Regierung führten, auch durch personelle Veränderungen an der DKU wurde es für die Fortführung unserer Kooperation notwendig, sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Der direkte persönliche Austausch ist für eine effektive internationale Zusammenarbeit essentiell, weshalb ich mich in diesem Semester kurz vor Projektende auf den Weg nach Kasachstan gemacht habe. Am liebsten wäre ich schon gleich mit einer kleinen Gruppe von interessierten Studierenden unserer Hochschule dorthin gereist, damit mein brennender Funke direkt auf sie hätte überspringen können, aber das musste ich noch einmal verschieben.

Die Reise startete am BER mit einem Zwischenstopp in der türkischen Metropole Istanbul, unter deren Marmarameer sich die eurasische und die ostanatolische Kontinentalplatte gegeneinander verschieben. Hier wird einem der Übertritt von Europa nach Asien nicht nur geologisch bewusst. Ein Blick aus den großen Flughafenfenstern schafft zusammen mit den türkisch-orientalischen Versorgungsständen sofort ein neues Lebensgefühl.

Bei Ankunft am sehr frühen Morgen, zu fast nachtschlafender Zeit, steht bereits ein Fahrer der DKU am Flughafen in Almaty bereit, um die Fahrt zur Unterkunft zu managen. Trotz der frühen Morgenstunde mit eher wenig Straßenverkehr bleibt mir nicht verborgen, dass Almaty ein schwerwiegendes Smogproblem hat. Die dichten Nebelschwaden können besonders gut von außerhalb aus den nahen Bergen gesehen werden, von wo aus die Apfelstadt (=Almaty) wie unter einer Dreckglocke versteckt hockt. Aber ich will nicht vorgreifen, denn bis zu meinem Ausflug in die Bergwelt dauert es noch. Erstmal geht’s in die angemietete Wohnung mitten ins Zentrum dieser rumorigen 2-Mio.-Stadt. Trotz der dicken Luft und den vier Stunden Zeitverschiebung ist mein Tagesstart absolut sensationell. Nach einem langen Spaziergang durch riesige Parkanlagen lerne ich das urtümliche, original russisch geprägte SPA Arasan kennen und in ihm die traditionellen Bräuche des nicht sehr zaghaften Auspeitschens mit diversem Baumgrün und knackigen Massagen im Knet-Klopf-Quetsch-Stil.

Nach dieser Reinigung bin ich gerüstet für die Arbeitswoche und treffe als erstes unseren neuen Kooperationspartner, den Vizepräsidenten für Forschung und Innovation der DKU, Professor Dr. Serik Beimenbetov. Er spricht viele Sprachen, und wir einigen uns auf Anhieb auf die Deutsche, die er durch seine zahlreichen Forschungs- und Arbeitsaufenthalte an der TU Dortmund und der Uni Bielefeld perfekt beherrscht. Unser Zusammentreffen verläuft extrem freudvoll und äußerst inspirierend. Serik ist Politologe und interessiert sich besonders für soziale Bewegungen wie z.B. die Arbeiter- und die Frauenbewegung in Kasachstan. Rasch entwickeln wir gemeinsam Themen, die sich z.B. auch für kleine Feldforschungsprojekte eignen, für die Studierende der HWR Berlin für zwei bis drei Wochen nach Kasachstan reisen können, um für ihre Bachelor- oder Masterarbeit Daten zu generieren. Auch in die andere Richtung möchten wir arbeiten und Studierende der DKU zu uns an die HWR Berlin einladen.

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Neue Fördermöglichkeiten und Projektideen werden genauso intensiv diskutiert wie mögliche Formate. Angefangen von DAAD-GOEAST- und den Ostpartnerschafts-Programmen, über die Friedrich-Ebert-Stiftung bis hin zu The Herbert and Evelyn Howe Bascom Professorship-Projekten werden alle Kontakte ausgetauscht. Gemeinsame Themen reichen von Häuslicher Gewalt als enormes Gesellschaftsproblem über Terrorismus/Extremismus, insbesondere auf der Grundalge von Religion; die Rolle von Frauen in der Lösung von Konflikten sowie die Frauenbewegung; Auswirkungen der Klimapolitik auf die Lösung von Konflikten bis hin zum globalen, weltumspannenden Menschenhandel.

Uns interessieren alle Themen an der Schnittstelle von internationaler Sicherheit und Menschenrechten/Rechtsstaatlichkeit, die alle auch am Fachbereich 5 erforscht und gelehrt werden. Auch eine Summer School soll neben den genannten Forschungsaufenthalten für die Studierenden ermöglicht werden.

Nachdem wir uns also über eine stetige Vertiefung unserer Partnerschaft einig sind, soll auf jeden Fall der Mann der ersten Stunde mit dabei sein, weshalb mich meine Reise von Kasachstan weiter nach Kirgistan führt, wo Sebastian Mayer mittlerweile als Langzeitdozent an der OSCE Academy in Bischkek tätig ist. Unser Wiedersehen ist fröhlich, in Berlin hatten wir uns das erste und letzte Mal vor längerer Zeit getroffen, um zusammen das Webinar durchzuführen. Er lädt mich zu seiner Lehrveranstaltung im Master-Studiengang International Relations ein, und ich darf die regen Diskussionen der engagierten Studierenden, die aus allen zentralasiatischen Staaten kommen, miterleben. An einer Stelle steige ich sogar kurz in die Diskussion mit ein und bin beeindruckt von der Vielfalt der geäußerten Gedanken und Argumente. Unser anschließendes Arbeitsessen nutzen auch wir für ein Brainstoarming, wobei wir darüber nachdenken, wie wir die OSCE Academy mit ins Boot holen können, um unsere Aktivitäten über Kasachstan hinaus auch auf Kirgistan ausweiten zu können.

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Bei einem Abschiedsabendessen mit unterschiedlichen Forschungs- und Kooperationspartner*innen der DKU aus allen zentralasiatischen Staaten sowie den Niederlanden und Italien finden lebhafte Diskussionen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten menschlichen Zusammenlebens und -arbeitens statt, wobei die Freude an der Vielfalt in der Begegnung im Mittelpunkt steht.

Zum Abschied werden kirgisische Spezialitäten aus der Confiserie verteilt, die für den beschwerlichen Rückweg mit dem Überlandbus nach Almaty eine geeignete Grundlage bieten. Vorbei an schroffen, schneebedeckten Gebirgsketten geht es zurück nach Kasachstan, wobei mein Blick bei einer kurzen Tankpause ganz unvermittelt auf einem ziemlich tief durchhängenden Transporter landet, auf dem vier Pferde mit wehenden Mähnen stehen. Eines schaut keck zu mir herüber, und ich habe den Eindruck, es flüstert mir etwas zu: Wir gehören alle zusammen ist die Botschaft. Doch dann nimmt unser Bus auch schon wieder Fahrt auf und trennt mich von der wilden Schönheit Zentralasiens.

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Am Ende einer ereignisreichen abenteuerlichen Woche mit Überwindung von mehr als 11.000 km auf Luft- und Landwegen inklusive Bergtouren sowohl im kasachischen als auch kirgisischen Gebirge bin ich erfüllt und ein wenig erschöpft wieder an der HWR Berlin gelandet, wo ich nun mit meinem Kollegen Ekkehard Strauß die Partnerschaftsentwicklung zu Zentralasien weiter mit Leben füllen werde.

Wir wünschen uns viele interessierte Studierende, die ihre eigenen Erfahrungen in dieser aufregenden Gegend machen und ihr Studium damit bereichern möchten. Vielleicht können wir bei unserem nächsten Besuch als Kleingruppe ganz nachhaltig über den Landweg anreisen. Bis dahin muss sich allerdings noch sehr viel verändern. Vor allem auf dem Sektor der International Relations.