20.12.2021 — Pressemitteilung 67/2021Pressemitteilung 67/2021 | 20.12.2021

Breitscheidplatzsymposium

Jüdinnen und Juden sollen in Europa eine Zukunft sehen

Beim 5. Fachsymposium zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, ausgerichtet von der HWR Berlin und der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, ging es um das Thema Antisemitismus.

Foto: Oana Popa-Costea

Berlin, 17. Dezember 2021. Im vergangenen Jahr zählte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) allein in der Hauptstadt 1 004 und damit deutlich mehr antisemitische Vorfälle wie verletzendes Verhalten, Bedrohungen, Sachbeschädigung und tätliche Angriffe als in den zwölf Monaten davor. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Darin kamen die Referent*innen des gemeinsam von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) und der Senatsverwaltung für Inneres und Sport ausgerichteten Fachsymposiums aus Anlass des Terroranschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz überein.

Neuer Antisemitismus und alte Ressentiments

Prof. Dr. Christoph Kopke, Politikwissenschaftler und Historiker mit Schwerpunkt Rechtsextremismus und Antisemitismus an der HWR Berlin, verwies auf dem 5. Fachsymposium zum Jahrestag des Terroranschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz auf die vielfältigen Herausforderungen für die Polizei. Foto: Oana Popa-Costea

„Die Polizei, gerade in Berlin, ist in unterschiedlichem Ausmaß mit verschiedenen Formen von Antisemitismus und einer Vielzahl von antisemitischen Straftaten konfrontiert“, sagte Prof. Dr. Christoph Kopke, Professor für Politikwissenschaft und Dekan des Fachbereichs Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin, am 16. Januar 2021 in seinem Vortrag auf dem 5. interdisziplinären Symposium zu Sicherheitsthemen im Zusammenhang mit Terrorismus. In diesem Jahr stand es unter dem Titel „Antisemitismus – Herausforderung für Polizei, Sicherheitsakteure und Gesellschaft“. Antisemitismus, das werde immer wieder deutlich, gehöre vor allem zum Weltanschauungskern von Rechtsextremismus. Aber Antisemitismus finde sich auch in weiten Teilen der Gesellschaft und in verschiedenen politischen Spektren. Dies werde zum Beispiel bei Demonstrationen zum Nah-Ost-Konflikt deutlich: „Hier treten regelmäßig auch Gruppen auf, die dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen und die Ereignisse im Nahen Osten und die Nahostpolitik zum Anlass nehmen, um öffentlich antisemitisch aufzutreten und politisch motivierte Straftaten zu verüben“, sagt Kopke. Er erinnerte an einige konkrete Beispiele antisemitisch motivierter Gewalt gegen Jüdinnen und Juden Berlins in den vergangenen Jahren. Die Polizei ist also vielfältig herausgefordert.

Antisemitismus abgrenzen von Rassismus

Der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland Daniel Botmann betont die Wichtigkeit, Antisemitismus als solchen wahrzunehmen und von Rassismus abzugrenzen. Das 5. Breitscheidplatz-Symposium von HWR Berlin und Senatsinnenverwaltung stand unter dem Titel „Antisemitismus – Herausforderung für Polizei, Sicherheitsakteure und Gesellschaft“. Foto: Oana Popa-Costea

Der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, sprach von Antisemitismus, der sich als vielgesichtiger Hass ausdrücke. Wichtig sei es, diesen als solchen wahrzunehmen und von Rassismus abzugrenzen. Sicherheitsbehörden und Justiz brauchen entsprechende Fortbildungen. Polizist*innen und Justizmitarbeiter*innen wie Staatsanwält*innen und Richter*innen müssen sensibilisiert werden für das Thema. Es brauche eine konsequentere Strafverfolgung bei antisemitischen Vorfällen. Zu oft würden judenfeindliche Straftaten nicht als solche gewertet und deswegen keine Strafverfahren eingeleitet, so Botmann. Damit es gar nicht erst soweit kommt, sind Präventionsmaßnahmen nötig. Der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland verwies in diesem Zusammenhang auf den Ausbau der Sicherheitsinfrastruktur zum Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland nach dem Anschlag im Umfeld einer Synagoge in Halle (Saale) im Oktober 2019. Dies sei ein wichtiges Signal.

EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus

„Jüdinnen und Juden sollen in Europa eine Zukunft sehen.“ Das ist das Ziel der EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens, erläuterte Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission, in ihrem Impulsvortrag auf dem Fachsymposium. Über 200 Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und dem Ausland waren virtuell zugeschaltet. Die Kommissionsbeauftragte forderte, den Fokus bei Antisemitismus weg von den Täter*innen und hin zu den Betroffenen zu richten. Dabei müssen alle Formen des Antisemitismus gleichermaßen ernst genommen werden, rassistische Vorurteile, antisemitische Verschwörungsmythen, Israel bezogener Antisemitismus und Antizionismus genauso wie Holocaustleugnung oder -verharmlosung. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Judenhasses im Internet verabschiedete die Europäische Kommission mit den Social-Media-Konzernen einen Verhaltenskodex. Illegale Inhalte müssen binnen 24 Stunden von den Plattformen gelöscht werden. Außerdem haben die EU-Kommission und die Internationale Allianz zum Holocaust-Gedenken (IHRA) ein Handbuch zur Definition von Antisemitismus veröffentlicht. Auch von Schnurbein betonte, dass es immens wichtig sei, Antisemitismus in Schulen und Hochschulen aufzugreifen.

Jüdinnen und Juden sollen in Europa eine Zukunft sehen. Das ist das Ziel der EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens, erläuterte Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission Katharina von Schnurbein auf dem Fachsymposium zu Sicherheitsthemen im Zusammenhang mit Terrorismus. Foto: Oana Popa-Costea

Studierendenaustausch und Forschungszusammenarbeit gegen Vorurteile

Der Präsident der HWR Berlin, Prof. Dr. Andreas Zaby, zitierte das Berliner Hochschulgesetz, das unter anderem vorsieht, dass Hochschulen ihre Studierenden zu kritischem Denken und zu freiem, verantwortlichem, ethischem und demokratischem Handeln zu befähigen haben. Dazu gehöre unbedingt die ablehnende Haltung gegenüber Antisemitismus. „Die HWR Berlin ist sich dieser Verantwortung bewusst“, sagte Zaby. Seit zwei Jahren gibt es für angehende Polizeikommissar*innen eine Lehrveranstaltung „Antisemitismus“. Zum aktuellen Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erarbeiteten Studierende des Studiengangs Gehobener Polizeivollzugsdienst in Zusammenarbeit mit der Berliner Polizei, dem Erzbistum Berlin und anderen im Rahmen einer Lehrveranstaltung eine Wanderausstellung, die verschiedene Aspekte der Geschichte und Gegenwart der Polizei Berlin mit Blick auf das jüdische Leben abbildet. Im Lehrgebäude der HWR Berlin in der Badenschen Straße, einst Sitz der Abteilung Kriegsgefangenenwesen des Oberkommandos der Wehrmacht, wurde eine Stele aufgestellt. Sie bildet dieses dunkle Kapitel der Geschichte ab, auch zum Gedenken an die Kriegsgefangenen, viele von ihnen jüdischen Glaubens, die auf Befehle, die von diesem Ort aus ergingen, unermessliches Leid erfuhren und starben.

Der Präsident der HWR Berlin Prof. Dr. Andreas Zaby sieht Hochschulen in der Verantwortung, durch Studierendenaustausch und Forschungszusammenarbeit Vorurteile abzubauen und Studierende allgemein zu kritischem Denken und zu freiem, verantwortlichem, ethischem und demokratischem Handeln zu befähigen. Foto: Oana Popa-Costea

Neben dem mahnenden Gedenken an die Vergangenheit wirke die Begegnung von Studierenden und die Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet im Hier und Jetzt unbedingt Antisemitismus entgegen. „Die HWR Berlin hat in den vergangenen Jahren ganz bewusst Partnerschaften mit israelischen Hochschulen aufgebaut“, betonte Zaby. Deutsche Studierende verbringen ein Semester in Israel, und israelische Studierende kommen für ein Semester nach Berlin. Auch zwischen den Gründungszentren und auf Forschungsebene gibt es einen regen Austausch zwischen der HWR Berlin und den Partnerhochschulen in Israel. „Ich kenne keinen besseren Weg, um Vorurteile abzubauen und Freundschaften entstehen zu lassen“, sagte der Präsident der HWR Berlin.

Interdisziplinärer Wissenstransfer zur Terrorbekämpfung

Nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 haben die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und die Senatsverwaltung für Inneres und Sport des Landes Berlin eine interdisziplinäre Fachtagungsreihe zu Sicherheitsthemen im Zusammenhang mit Terrorismus ins Leben gerufen. Neben dem Gedenken an die Opfer geht es beim Symposium um den interdisziplinären Wissenstransfer, jedes Jahr zu einem anderen Schwerpunktthema. Die Ergebnisse werden in einem Tagungsband veröffentlicht. Auch das 5. Fachsymposium stand unter der Leitung von Prof. Dr. Sabrina Schönrock und Prof. Dr. Wim Nettelnstroth vom Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin. Innensenator Andreas Geisel eröffnete die Tagung mit einem Grußwort.

Kontakt

Sarah Geißler, HWR Berlin
Tel.: +49 030 30877 2848
E-Mail: breitscheidplatz-symposium(at)hwr-berlin.de

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin)
Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 12 000 Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften – mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60 Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

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